Der Gesundheitsminister hat sich in den letzten Monaten alle Mühe gegeben, seinem Namen mit arroganter Unbeugsamkeit und martialischem Säbelrasseln Ehre zu machen. Die von ihm als Gesundheitsreform bezeichneten Änderungen im luxemburgischen Gesundheitssystem haben zwar eine Diskussion angestoßen, die für unsere Gesellschaft unausweichlich war. Der Mangel an Übersicht und Durchblick seitens des Ministeriums hat es allerdings verhindert, dass aus der Feststellung der schwierigen Finanzsituation die richtigen Schlüsse zur Notwendigkeit einer grundsätzlichen und gründlichen Neuorientierung unseres Systems gezogen wurden. Anstatt sich der Herkulesaufgabe einer großen Reform des luxemburgischen Gesundheitssystems zu stellen, hat sich Herr Di Bartolomeo zu einer Kriegserklärung an die Leistungserbringer dieses Systems entschlossen.
Vor diesem Hintergrund will die CSJ die gegenwärtig kontrovers geführten Diskussionen zum Anlass nehmen, um auf die grundsätzlichen Missstände unseres Systems aufmerksam zu machen. Wir fordern den Minister dazu auf, das derzeitige Gesetzesprojekt so umzugestalten, dass zunächst lediglich die mittelfristige Finanzierbarkeit des Systems gewährleistet bleibt. In einer weiteren Phase sollte er dann sein Schlachtfeld verlagern und sich zurück an die Fleißarbeit einer richtigen Reform begeben. Es gilt, den Rückstand der vergangen 6 Amtsjahre durch Blut, Mühe, Schweiß und Tränen wieder aufzuholen! Als CSJ wollen wir ihm hierzu einige Grundideen mit auf den Weg geben.
Die moderne Medizin ist industriegetrieben. Große Firmen investieren jährlich Milliarden in die Weiterentwicklung von Medikamenten, Implantaten sowie diagnostischen und therapeutischen Geräten. Dadurch besteht ein enormes Entwicklungspotential, das, wenn es ausgeschöpft wird, vielen Patienten zu Gute kommen kann. Die Kehrseite dieser Medaille ist allerdings, dass die Medizinindustrie, wie alle übrigen Industriezweige auch, umsatzorientiert ist. Es ist so über die vergangenen Jahrzehnte zu einem teuflischen Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Industrie und ihren Produkten einerseits, und den Trägern der öffentlichen Gesundheitssysteme andererseits gekommen. In diesem Spannungsfeld stehen die Ärzte, die von den unbestreitbaren Vorteilen neuer Medikamente, Instrumente und Geräte für die Behandlung ihrer Patienten überzeugt sind, jedoch dem Kostendruck des Systems ebenso gerecht werden müssen.
Ein Lösungsansatz für dieses Problem liegt in der Diversifikation des medizinischen Angebotes, wobei nicht von der Qualität der medizinischen Versorgung, sondern vom Preis der angebotenen Mittel die Rede gehen muss. Da die Kostenexplosion zu einem Großteil auf die Erzeugnisse der Industrie zurückzuführen ist, muss die Frage “Was ist medizinisch notwendig?” endlich fern jeder ideologischen Erwägungen mit Blick auf Kosten und Nutzen des Angebotes gestellt werden. Ein Beispiel zur Veranschaulichung sei aufgeführt:
Ein chronisch herzkranker Patient, der über einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren mehrere Mittel zur Einstellung seines Blutdruckes und zur Verbesserung der Herzfunktion benötigt – muss er unbedingt die neuesten, und so auch teuersten Mittel bekommen, auch wenn die wissenschaftliche Evidenz aus Langzeitstudien eindeutig belegt, dass diese gegenüber günstigeren, wirkungsgleichen und qualitativ ebenbürtigen Generika keine Verbesserung seiner Gesundheit zur Folge haben und er mit den ihm verschriebenen Mitteln eine einwandfreie Lebensqualität bestätigt?
Ziel aller medizinischen Behandlungen soll das Heilen von Erkrankungen beziehungsweise das Lindern von Leiden sein, und gerade dies ist nicht notwendigerweise eine Frage des Preises. Die solidarisch finanzierte Gesundheit muss sich zum Teil von den industriellen Zwängen entkoppeln, um weiterhin finanzierbar bleiben zu können. Hierzu bedarf es aber eines Paradigmenwechsels im System.
Nun werden die roten Kehlchen unter den Lesern uns der schleichenden Einführung einer “Zwei-Klassen-Medizin” verdächtigen. Dem ist aber nicht so! In unseren Augen muss an einer umfassenden solidarisch finanzierten Grundversorgung festgehalten werden! Diese muss jedoch um eine private Zusatzversicherung für medizinisch nicht notwendige Leistungen ergänzt werden. Aufgrund der durch die Industrie veränderten Medizin gibt es für die CSJ hierzu keine auf Dauer tragbaren Alternativen. Es sei hier angemerkt, dass gerade dieser Weg im Hinblick auf die nachhaltige Gestaltung des Gesundheitswesens solidarisch ist, eben weil er eine längerfristig finanzierbare Hochleistungsmedizin ermöglicht.
Diese Überlegungen sollten sich dann auch ausdehnen auf verschiedene, heute noch von der Gesundheitskasse getragene Leistungen, die man unter der Rubrik “Komfort” aufführen könnte. Die in der aktuellen Debatte so häufig zitierten “Erste Klasse-Behandlungen”, welche in keinster Weise mit der medizinischen Qualität einer Behandlung korrelieren, zählen hier beispielsweise dazu.
Die Schaffung von Kompetenzzentren, nach den erfolgreichen Modellen des Herzzentrums (INCCI), des Nationalen Zentrums für Strahlentherapie und des Rehazentrums, ist, so wie im Gesetzesprojekt vorgeschlagen, sicher eine gute Idee. Sie muss allerdings vor dem Hintergrund der Praktizierbarkeit in einem System betrachtet werden, welches mit weniger als einer Million Versicherten in vielen Fällen nicht die notwendige kritische Masse für eine Zentrumsmedizin aufbieten kann. Das Konzept sollte deswegen als Diskussionsgrundlage in einem gründlichen Reformprojekt dienen, und nicht halbherzig, wie jetzt, nur des wohl klingenden Schlagwortes wegen, angewendet werden.
Gleiches gilt für die Referenzärzte und die elektronische Patientenakte, die an und für sich gute Ansätze bieten, derzeit aber unausgegoren verbreitet werden und erst in einem gründlich erarbeiteten Gesamtpaket ihren rechten Platz finden müssen.
Die Versicherten sollten Anreize geboten bekommen, bei Gesundheitsproblemen zunächst ihre Allgemeinärzte aufzusuchen, damit diese ihrer Rolle als Rückgrat des Systems und Verteiler in die spezielle Behandlung gerecht werden können. Hierzu muss den Allgemeinmedizinern jedoch zuerst der strukturelle Rahmen geboten werden. Andererseits muss den Patienten weiterhin ein gewisses Maß an Autonomie und Selbsteinschätzungsvermögen zugestanden werden, welches es ihnen ermöglicht, in entsprechenden Fällen auch ohne die Station Allgemeinarzt ihren Spezialisten aufzusuchen.
In der Bundesrepublik Deutschland ist die Überweisung vom Allgemeinarzt zum Spezialisten übrigens seit einigen Jahren bereits obligatorisch. Dies hat allerdings lediglich dazu geführt, dass die Patienten mit sehr viel mehr Umständen zu ihrem Spezialisten kommen, ohne dass sich insgesamt die Zahl der Spezialistenbesuche reduziert hätte. Die Überweisungsscheine werden ohne vorherige Untersuchung pauschal ausgestellt!
Um Doppeluntersuchungen und -behandlungen zu verhindern, ist die elektronische Patientenakte im Prinzip ein geeignetes Instrument. Sie muss jedoch zum einen den Bestimmungen des Datenschutzes gerecht werden, und darf zum anderen nicht zum Konflikt mit der persönlichen Dokumentation der Ärzte führen. Es ist aber unbestritten, dass es in vielen Situationen für die Entscheidungen des Arztes von Vorteil ist, wenn er genau weiß, welche Untersuchungen und Therapiemaßnahmen bei seinen Patienten in der Vergangenheit durchgeführt wurden. Er kann so präziser weitere Schritte festlegen und zudem die Kosten der Gesamtbehandlung seines Patienten reduzieren. Problematisch am aktuellen Projekt ist aber, dass, wie für viele andere Aspekte auch, hier eine gute Idee unausgereift in den Raum geworfen wurde, und die vielen Schwierigkeiten, die bei der Ausarbeitung der Details aufkommen, nicht adressiert wurden.
Sträflich vernachlässigt wurde im aktuellen Gesetzesprojekt insbesondere die koordinierte Erfassung und Auswertung der Krankheiten und ihrer Behandlungen in Luxemburg. Zwar gab es hier bereits in der Vergangenheit Ansätze, wie die heftig diskutierte Gallenblasen-OP-Studie Ende der 90er Jahre – diese sind jedoch stets am Unvermögen des Verwaltungsapparates gescheitert.
Um zukünftig eine qualitativ hochwertige und kosteneffiziente Medizin praktizieren zu können, ist es unabdingbar, die Analyse von Krankheitshäufigkeiten und Therapiekonsequenzen zu betreiben. Hierfür müssen aber zunächst die Instrumente aufgestellt werden. Dies bedarf der Schaffung einer Verwaltung, die Krankheiten nach der internationalen Klassifikation (ICD) ordnet und auswertet, sowie der Reform der Nomenklatur der ärztlichen Tätigkeiten, die eine differenzierte Zuordnung von Krankheiten und Behandlungen möglich machen sollte. Hierzu muss man das Rad nicht neu erfinden, viele unserer europäischen Nachbarn haben solche Systeme etabliert und wären bereit, ihren Wissens- und Erfahrungsvorsprung mit uns zu teilen.
Schließlich erscheint es uns wichtig, auch in Luxemburg, nach dem Vorbild unserer Nachbarländer, die Weiter- und Fortbildung der Ärzte aktiv zu fördern. Um zu gewährleisten, dass die im luxemburgischen Gesundheitssystem etablierten Ärzte auf dem letzten Stand des medizinischen Wissens sind, sollte eine obligatorische medizinische Fortbildung eingeführt werden. Zwar bilden sich die meisten Ärzte sowieso regelmäßig auf Kongressen, Symposien und Kursen fort – um aber flächendeckend zu garantieren, dass auch alle von der stetigen Weiterentwicklung in ihrem Fach profitieren, sollte die Teilnahme an solchen Veranstaltungen vom Träger des Systems gefördert und kontrolliert werden.
Um auch in den kommenden Jahrzehnten auf exzellent ausgebildete Ärzte zurückgreifen zu können, wünscht sich die CSJ unbedingt, dass der luxemburgische Staat sich vermehrt um die Medizinstudenten und jungen Ärzte in der Weiterbildung kümmert. Es ist unserer Meinung nach notwendig, den werdenden Ärzten während Studium und Ausbildung zur Seite zu stehen, damit sie fundiert ausgebildet werden. So kann garantiert werden, dass sie später bestmöglich dem Gesundheitssystem Luxemburgs und seinen Patienten dienen.
Als CSJ erheben wir mit diesem Kommentar zum aktuellen Reformprojekt des Gesundheitsministers auf keinen Fall den Anspruch, dieses äußerst komplexe Thema ausschöpflich behandelt zu haben. Angesichts der gravierenden Mängel des Vorhabens sehen wir es jedoch als unsere Pflicht an, auf die Kernaspekte hinzuweisen.
Wir wünschen uns, dass der sozialistische Minister sich seiner Verantwortung stellt, und endlich die überfälligen Reformen des luxemburgischen Gesundheitssystems unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit angegangen werden. Denn schließlich geht es darum, dass wir und unsere Nachgeborenen auch in 30 Jahren noch von unserem bis dato so gelobten System profitieren können.
CSJ-Nationalvorstand