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Flüchtlinge

Es scheint wirklich schwer, Gesetze und Bestimmungen einerseits und Vernunft und Menschlichkeit andererseits auf einen Nenner zu bringen. Muss das wirklich immer so bleiben, weil es immer so war?

Kommentar zur Ausweisung von Flüchtlingen am vergangenen Dienstag.Recht contra Humanität?

Einen Tag nach der Ausweisung von 23 Asylbewerbern nach Montenegro stürzte über Luxemburg die Flugzeugkatastrophe herein. Natürlich waren alle Medien einige Tage vollauf mit dieser Tragödie beschäftigt, und so schien die kollektive Ausweisung der mittlerweile bei uns heimisch gewordenen Montenegriner schneller als von den zuständigen Behörden erwartet aus der Aktualität gelöscht.

Dass die Flugtragödie die stets für Empörung in breiten Kreisen sorgende Ausweisung von Asylanten überlagerte, ist selbstverständlich. Es darf aber nicht so sein, dass das Schicksal dieser Menschen mit einem Schlag vergessen wird, weil ein Flugzeug der Luxair abgestürzt ist. Deshalb scheint es uns angebracht, noch einmal auf die Ausweisungsaktion vom vergangenen Dienstag zurückzukommen. Denn die Flugzeugkatastrophe ist eine Tragödie, für ausgewiesene Familien können Ausweisung und Entlassung in eine ungewisse Zukunft eine anders gelagerte Tragödie bedeuten.

Es sei vorweggenommen, dass es der verantwortliche Justizminister nicht leicht hat, manche Gesetze durchzuführen, zumal wenn man seinen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und seine eigene humane Empfindsamkeit kennt. Sicher möchten in solchen Situationen nicht viele in seiner Haut stecken und um der Einhaltung der Gesetze wegen eine von vielen als zu hart empfundene Konsequenz an den Tag legen. Es ist tatsächlich einfacher, in unangenehmen Situationen zu kritisieren und zu belehren, als in der Verantwortung zu stehen und Entscheidungen zu treffen, die letztlich auf eine Gesetzgebung des demokratisch gewählten Parlaments zurückzuführen sind.

Von Seiten unserer Behörden wird uns versichert, dass jeder Fall einzeln und genauestens studiert und die Ausweisung nur vorgenommen werde, wenn man sicher sei, dass ein menschenwürdiges Weiterleben in der neuen alten Heimat nachgewiesen werden könne.

Solche Beweise dürften relativ leicht auf den Tisch zu legen sein, je nachdem, mit welchen Angaben der fremden Behörden man sich begnügt. In diesem Fall berufen sich unsere Behörden auf Kontakte mit den lokalen Autoritäten in Montenegro, denen zufolge die Ausgewiesenen sich “in Sicherheit” wähnen dürften und Familienmitglieder oder Bekannte den Betroffenen “bis auf weiteres” Unterkunft gewährten. Und dann? Unsere politische Verantwortung mögen wir mit einer Ausweisung los sein. Wie aber ist es mit der humanen?

Ist das, was Luxemburg seinen ausgewiesenen Asylanten an Zukunftsaussichten mit auf den Weg ins Ungewisse gibt, nicht etwas vage? Sicher dürften viele Luxemburger der Rückführungsaktion voll und ganz beipflichten. Doch möchte man jenen Luxemburger sehen, der solchen Versprechen trauen und sich mit eher hypothetischen Zukunftsaussichten zufrieden gäbe, wenn es ihn selbst betreffen würde! Ist es aber zu rechtfertigen, Menschen einem Schicksal auszuliefern, das wir selbst nicht akzeptieren würden?

Man nehme bloß die “Nacht- und Nebelaktion”, eine Bezeichnung, die den Verantwortlichen jedes Mal einen Aufschrei der Entrüstung entlockt. Und doch handelt es sich um eine solche, wenn im Morgengrauen unangemeldet die Polizeiautos vor einem Haus halten und die zur Zwangsrückführung aufgerufenen Asylanten innerhalb kürzester Zeit mit Kind und Kegel bereit stehen müssen, um Richtung Findel abtransportiert zu werden. Das Argument – das einzige! – für diese Methode unseligen Gedenkens lautet, man wolle verhindern, dass bei einem Vorabbescheid der eine oder andere sich davonmachen und untertauchen könnte.

Wenn diese (sicher mögliche) Hypothese das einzige Argument für die von der Menschenwürde her gesehen zweifelhafte Form der Ausweisung ist, dann muss man sich als Bürger dieses Landes fast schämen. Angenommen, der eine oder andere tauchte in unserem kleinen Lande unter: Wie könnte er denn innerhalb unserer Grenzen lange unentdeckt bleiben?

Welchen Schaden könnte er anrichten? Laufen nicht zahlreiche Straftäter in unserem Land frei und unbehelligt herum, die unserer Gesellschaft mehr schaden als ein harmloser Flüchtling, der es einfach noch nicht über sich bringt, an die alten Stätten des grauenvollen Krieges zurückzukehren oder aber der begonnen bzw. gehofft hat, in unserem Land eine neue Existenz aufzubauen, dem es aber noch nicht gelungen ist, den Teufelskreis “keine Arbeit ohne Aufenthaltsgenehmigung, keine Aufenthaltsgenehmigung ohne Arbeit” zu durchbrechen?

Ist es bei allem nötigen gesetzlichen Formalismus, an den sich Minister und Behörden natürlich zu halten haben, nicht trotzdem eine Schwäche im Rechtsverständnis, wenn Familien zwangsweise in eine schlechtere Lebenslage zurückgeführt werden, wenn Menschen, die sich bereits weitgehend bei uns integriert haben, deren Kinder hier zur Schule gehen und ihr erstes Luxemburgisch sprechen, dann plötzlich morgens aus der Klasse und dem Kreis ihrer Freundinnen und Freunde entrissen und als quasi “Gezeichnete” mit ihren Familien des Landes ihrer Hoffnung verwiesen werden?

Selbstverständlich kann Luxemburg genauso wenig wie seine EU-Partner nicht grenzenlos alle Einwanderungswilligen aufnehmen, die es hier einfach besser haben möchten als in ihren jeweiligen Ländern. Wenn aber zurzeit in zukünftigen EU-Partnerstaaten bereits Prospektion betrieben wird, um in bei uns unterbesetzten Handwerksbereichen (Beispiel Baubranche), vor allem im Niedriglohnsektor Arbeitskräfte zu finden, dann scheint die Frage berechtigt, warum arbeitswillige Asylanten und also potenzielle Arbeitskräfte, die schon eine ganze Weile hier sind, statt der ersehnten notwendigen Genehmigungen einen Ausweisungsbescheid erhalten.

Es scheint wirklich schwer, Gesetze und Bestimmungen einerseits und Vernunft und Menschlichkeit andererseits auf einen Nenner zu bringen. Muss das wirklich immer so bleiben, weil es immer so war?

Léon Zeches