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Schoulufank 2002

D’Schoul geet un! Pisa as nach nët vergiess. Wat soll elo geschéien zu Lëtzebuerg? Schréiw eis deng Meenung!D’Schoul geet un! Pisa as nach nët vergiess. Wat soll elo geschéien zu Lëtzebuerg? Schréiw eis deng Meenung!

Der Spaß ist vorbei

Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften: schwach. Damit hatte niemand gerechnet.
Europas Musterschüler muss nachsitzen.

“Ich kann das nicht mehr hören!” Michel reagiert entnervt, wenn man ihn auf die Pisa-Studie 2000 anspricht. Sandra geht es nicht anders. Als die damals Fünfzehnjährigen an dem OECD-Test teilnahmen, wurden sie kaum über die Bedeutung der Studie aufgeklärt. “Füllt das schnell aus, und dann habt ihr frei”, hieß es. “Heute steht Luxemburg als Versager da”, regen sich die Jugendlichen auf.
Das Großherzogtum liegt in allen Kategorien – Lesekompetenz, Mathematik, Naturwissenschaften – auf dem drittletzten Platz, weit unter dem OECD-Durchschnitt; kein EU-Staat schnitt schlechter ab. Der wirtschaftliche Musterschüler der Union fühlte sich bis auf die Knochen blamiert.

Um die aufgeregte Öffentlichkeit zu beruhigen, wurde von offizieller Seite gleich eingeräumt, dass der Test wohl nicht mit dem nötigen Ernst durchgeführt worden sei. “Besonders in einem Fall ist es zu erheblichen Disziplinproblemen gekommen”, steht kleinlaut im nationalen Pisa-Bericht.

Dabei vertrauten die Luxemburger lange auf ihr dreisprachiges Bildungssystem. Es galt als Geheimwaffe und Aushängeschild für gelungene Integrationspolitik.

Die Mehrsprachigkeit sollte den vielen Zuwanderern – im Landesdurchschnitt 37 Prozent der Bevölkerung – das Einleben in die Gesellschaft erleichtern. Doch die Studie zeigt ein anderes Bild. Vor allem ausländische Schüler schnitten schlecht ab.

Ohnedies gelangt nur ein kleiner Teil ans Lycée général, die allgemein bildende Sekundarschule I und II, die aufs Studium vorbereitet; hier sind 13,7 Prozent der Schüler ausländischer Herkunft. Zwei Drittel aller Schüler erhalten nach der sechsten Grundschulklasse eine Empfehlung fürs Lycée technique, das auf eine berufliche oder technische Laufbahn vorbereitet; 37,2 Prozent der Schüler sind Ausländer.

Alle wurden getestet

Anders als in den großen Teilnehmerstaaten, in denen Stichproben gezogen wurden, nahmen im kleinen Luxemburg alle fünfzehnjährigen Schüler am Pisa-Test teil. Doch nicht nur deshalb kommt aus den Reihen der Schuldirektoren Kritik. Sie bemängeln, dass der Test ein angelsächsisches Projekt sei, absolut ungeeignet, um den Luxemburger Gegebenheiten Rechnung zu tragen; er hätte überhaupt keine Rücksicht auf die kontinentaleuropäische Tradition genommen. Zudem habe kein anderes Land die gleiche “Belastung” an ausländischen Schülern zu tragen.

In Luxemburg wird in drei Sprachen unterrichtet. “Wir gehen davon aus, dass die Kinder bei der Einschulung Lëtzebuergesch beherrschen und so einen leichten Zugang zur deutschen Sprache haben”, erklärt Diane Stefanutti, Lehrerin am Lycée technique in Düdelingen. “Im ersten Schuljahr werden sie auf Deutsch eingeschult, in der zweiten Klasse lernen sie Französisch als Fremdsprache. Luxemburgisch dient als Hilfsinstrument, soll aber so wenig wie möglich gebraucht werden. Kompliziert wird es in der weiterführenden Schule, wo Fächer erst auf Deutsch und später auf Französisch unterrichtet werden.”

Das Luxemburger Schulwesen legt besonderen Wert auf die grammatische Korrektheit, da allerdings mehr im Schreiben denn im Sprechen. “Natur-und Sozialwissenschaften kommen zu kurz”, bemängelt ein Biologielehrer aus Luxemburg-Stadt, “kreatives Denken und praktische Anwendung ebenfalls.” Beim Pisa-Test wurden aber gerade diese Kompetenzen ermittelt. “Es ist schon ein Wunder, dass wir nicht den letzten Platz belegt haben”, mokiert sich ein Schulleiter.

Auch Bildungsministerin Anne Brasseur war vom schlechten Abschneiden nicht überrascht. “Die Resultate bestätigten meine Vermutungen.” Sie habe schon als Oppositionspolitikerin die Schwachstellen erkannt.

Als die liberale Politikerin vor drei Jahren das Bildungsressort von den Christdemokraten übernahm, hatte das Großherzogtum gerade zehn Jahre Reformpolitik im Erziehungswesen hinter sich. Doch die Bürger waren immer noch unzufrieden. Eine Bildungsoffensive war angesagt. “Back to basics” heißt Brasseurs Zaubermotto, das die neue Marschrichtung angibt. Lesen, Rechnen und Schreiben sollen wieder in den Mittelpunkt der Schularbeit rücken. “Das Pendel hat in den vergangenen Jahren zu sehr in eine Richtung ausgeschlagen. Viele hielten es für wichtiger, dass die Kinder Spaß haben. Ich halte nichts von Spielpädagogik. Die Schule ist kein Club Med”, so die Ministerin.

Auch die jetzt beschlossene Reform der vierten Klasse im Lycée général – das entspricht in Deutschland der zehnten Jahrgangsstufe – zu einer Konsolidierungsstufe, wo das erlernte Wissen der ersten drei Jahre verfestigt werden soll, will Anne Brasseur nicht als Reaktion auf Pisa verstanden wissen: “Diese Neuerung hatten wir schon im Koalitionsabkommen vorgesehen.”

Die Bildungschefin will die Schwierigkeiten nicht kleinreden: “Aber Panik ist ein schlechter Ratgeber. Die Grundlagen werden im Kindergarten und in der Grundschule gelegt. Da müssen wir ansetzen.” Es werde verstärkt dafür gesorgt, dass Kinder im Vorschulalter Lëtzebuergesch sprechen können, neues didaktisches und pädagogisches Material wurde bereits erarbeitet. Besonders ausländische Kinder sollen so früh die Umgangssprache lernen. Trotzdem soll bei der Einschulung nicht mehr vorausgesetzt werden, dass alle Kinder Deutsch können. Eine neue Schulfibel lehrt auch Deutsch als Fremdsprache.

Lehrpläne entrümpeln

Ganz im Sinne von “back to basics”, das Lesen und Schreiben stärker gewichtet, bekommen die Zweit- und Drittklässler ein neues Schulbuch, das den Leseeifer beflügeln und das Textverständnis fördern soll. Die Ministerin verlangt von ihren Lehrern auch, dass sie wieder mehr Hausaufgaben verteilen. “In der Schule muss das Grundwissen vermittelt werden. Es ist wie im Sport, nur Übung macht den Meister.” Dass die Schulprogramme entrümpelt gehören, hat man, so Anne Brasseur, auch im Bildungsministerium erkannt: “Wir müssen uns auf Wesentliches konzentrieren und dieses gründlicher durcharbeiten.”

Das klingt bekannt, ebenso die Aufforderung, wieder Lust am Lernen zu vermitteln, wozu vor allem die Autorität der Schule wieder hergestellt werden müsse. Tatsächlich erleiden seit einigen Jahren Schule und Lehrerschaft einen Ansehens- und Respektsverlust. Eltern beschweren sich über Hausaufgaben und stellen Benotungen infrage. “Wenn man ein Kind in die Schranken weist, hat man am nächsten Tag gleich die aufgebrachte Mutter vor der Tür stehen”, sagt eine frustrierte Lehrerin.

Auch hier will die liberale Bildungsministerin eine Trendwende einleiten. Mindestens fünf Höflichkeitswörter hätten die Eltern ihrem Nachwuchs vor der Einschulung beizubringen: Guten Morgen, bitte, Entschuldigung, danke und auf Wiedersehen. Schlüsselwörter für ein menschliches und anständiges Miteinander.

Es stimmt, die ausländischen Schüler haben beim Pisa-Test besonders schlecht abgeschnitten”, bestätigt Anne Brasseur, “aber die Ursachen für ihren Misserfolg kann man nicht auf reine Sprachprobleme beschränken. Schwerer wiegen der soziale Hintergrund und die mangelhafte Schulausbildung der Eltern.” Um diese Defizite zu verringern, will die Ministerin auf die ausländischen Mitbürger zugehen. Beispielsweise hat sie die Eltern aus der jüngsten Zuwanderungswelle – von den Kapverdischen Inseln – zu einer Versammlung eingeladen, um ihnen das Luxemburger Bildungssystem zu erklären.

Generell sollen sich die Schulen mehr um die Kinder zu kümmern und bei Lernschwierigkeiten frühzeitig Hilfen anbieten. Der Ministerin geht es aber nicht vordergründig darum, die Schüler darauf zu trainieren, dass sie beim nächsten Pisa-Test, 2003, besser abschneiden; ihr Ziel ist vielmehr, den Schülern das elementare Wissen zu vermitteln.

Ein Fall fürs Parlament

Gleichwohl erwartet sich Anne Brasseur vom Parlament konkrete Vorschläge. Im Herbst sollen die Abgeordneten in einer Orientierungsdebatte über das Pisa-Ergebnis und die nötigen Schlussfolgerungen diskutieren. Der parlamentarische Ausschuss zur Bildungspolitik hat bereits Vorarbeit geleistet. Im April waren an zwei Tagen alle Schulpartner zu einem “Hearing” zusammengekommen. Die Volksvertreter hatten einen Fragebogen vorbereitet, der nach den Ursachen des schlechten Abschneidens forschte und Reformvorschläge erbat. Über den Sommer sollen die Antworten ausgewertet werden.

Für den christdemokratischen Abgeordneten Claude Wiseler ist klar, dass man den Problemen nicht mit strukturellen Reformen beikommen kann. “Wir brauchen eine inhaltliche Reaktion auf Pisa”, so Wiseler. Außerdem verlangt er, dass das Schulwesen insgesamt ständig evaluiert wird. Auch ein Schulleiter äußert sich skeptisch. Bei der Debatte im Parlament, so seine Befürchtung, “kommt unter dem Strich nichts raus. Sie dient wohl eher der Profilierung einiger Politiker.”

Sei’s drum. Der Probelauf für Pisa 2003 hat gezeigt, dass man aus den schlechten Erfahrungen gelernt hat. Die Schüler wurden in kleineren Gruppen getestet und bekamen alle Aufgaben zweisprachig vorgelegt. Es scheint, als wolle der abgeschlagene “Musterschüler” schnell vorrücken.

Laurent Zeimet im Rheinischen Merkur vom 1. August 2002